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Flying Mermaid

Habt ihr schonmal ne fliegende Meerjungfrau gesehen? Tja, ich auch nicht. Ich war wohl die erste... Was hatte ich mir nur gedacht, in so einen Blechvogel zu steigen??

Wie besessen klammerte ich mich an den Armlehnen fest. Das war mein sicherer Tod.

"Atmen sie ganz ruhig. Sie müssen sich keine Sorgen machen, wir fliegen die Strecke täglich." "Aber wir werden abstürzen!! Das Ding hat ja nichtmal Federn!" Ich merkte zu spät, wie selten dämlich diese Aussage war, aber ich bekam keine Luft, ich hyperventilierte. Die Stewardess gab mir eine Tüte zum Atmen. Ich hechelte hecktisch hinein. Mir lief es kalt dem Rücken runter. Wäre ich eine Katze gewesen, hatte ich wohl gefaucht. "Es ist viel wahrscheinlicher von einem Hai angegriffen zu werden." "Als ob", murmelte ich in meine Tüte, denn ich wusste es besser.

"Sehr geehrte Damen und Herren. Hier spricht ihr Kapitän. Wir heißen Sie an Bord der London Airline herzlich willkommen. Stellen Sie ihre Sitze auf und schnallen Sie sich an, wir starten in wenigen Minuten. Wir wünschen Ihnen einen guten Flug. ..."

Bei dem Wort 'Flug' bekam ich das Würgen. Die Stewardess tätschelte mir mitleidig die Schulter. "Hören Sie, ich bringe Ihnen ein paar Beruhigungstabletten, vlt können sie sich dann etwas entspannen." Wenig später kam sie zurück mit drei kleinen Tabletten und einem Becher Wasser. Ich musterte skeptisch das Wasser, denn ich musste höllisch aufpassen, nicht nass zu werden. Sonst könnte ich mich schnell in einen Fisch verwandeln. Trotzdem riss ich mich zusammen, schluckte die Tabletten und kippte das Wasser hinter. Ich hatte keine Ahnung, wie Menschenmedizin bei mir wirken würde, aber das war mir in dem Moment völlig egal, ich wollte nur diese Panik loswerden.

Es war kaum zu glauben, aber ich war nur wenige Minuten später eingeschlafen. Ich verpasste den Anflug, die gesamten 12h Flugzeit und den Landeanflug. Wir waren bereits in London, als mich die Stewardess wach rüttelte.

"Miss, wir sind da, sie haben es überstanden!"

Wie benebelt öffnete ich langsam meine Augen. Diese Tabletten hatten wirklich wunder bewirkt. Ich hatte noch nie an Land geschlafen, aber es schien einwandfrei zu funktionieren. Langsam sah ich mich um, die Leute waren bereits zum Großteil aus dem Flieger verschwunden. Ich holte mein Handgepäck hervor und machte mich ebenfalls auf den Weg. Als ich an der Passkontrolle anstand, erinnerte ich mich an das Chaos, als ich fast völlig ohne Dokumente, einen Reisepass beantragen wollte. Da ich unter eher... unkonventionellen Umständen, als Tochter einer Meerjungfrau und eines Menschen außerhalb eines Krankenhauses zur Welt kam, gab es von mir lediglich eine nachträgliche beantragte Geburtsurkunde. Ich muss dazu sagen - immerhin! Meine Mom hatte sich alle Mühe gegeben, mir den Kontakt zu meinem Vater zu ermöglichen. Als die Frage nach sonstigen Papieren aufkam, behauptete ich, alles wäre verbrannt. Da ich bereits volljährig war, gab es keine weiteren Fragen und sie benötigten lediglich eine Unterschrift. Noch sowas, was ich genau für diesen Anlass gelernt hatte: schreiben. Meerjungfrauen schrieben nicht, wozu auch? Papier und Tinte funktionieren im Wasser nicht.

Ich betrachte meine krakelige Unterschrift im Reisepass. Ich hätte vorher mehr üben sollen.

Meine Mom hatte immer wieder Papier besorgt und sie in einer Kiste am Strand versteckt. Wir waren regelmäßig an Land gegangen, um Laufen, schreiben und allerlei anderer Menschensachen zu lernen. Menschen haben auch anderes Geld als Meerjungfrauen. Wir zahlen mit Perlen. Menschen haben Papiergeld. Man braucht für alles mögliche Geld. Letztlich musste ich jede Menge Perlen gegen bemaltes Papier austauschen, welches ich dann wiederum gegen ein Flugticket nach London tauschte. Meine Mom tat das ihr Leben lang, aber es hatte tatsächlich gereicht. Oh und da war noch etwas: Menschen brauchen Hosen. Meerjungfrauen brauchen keine Hosen. Das war auch eine ganz neue und recht unbequeme Erfahrung gewesen, weshalb meine Mom mir ausschließlich Kleider besorgt hatte. Es war seltsam, so völlig trocken zu sein.

Ich schlenderte am Gepäckband vorbei. Unser Geld hatte nicht für einen Koffer gereicht, aber ich brauchte auch keinen. Die Kiste, die ich als Handgepäck dabei hatte, beinhaltete zwei weitere Kleider, ein Handtuch und Pflegeprodukte für Haut, Mund und Haar. Was würde ich mehr benötigen? Geld war natürlich auch darin.

Ich trat in die Ankunftshalle des Flughafens und sah mich um. Mein Vater wusste nicht, dass ich kommen würde. Meine Mom war sich nicht sicher, ob er überhaupt von mir wusste. Mir stand also ein kleines Abenteuer bevor.

Zu aller erst würde ich mir eine billige Unterkunft suchen oder eine gut geschützte Stelle der Themse. Meine Mom sagte, dass es in London einen Fluss mit diesem Namen gab und ich würde ihn finden.

Fröhlich motiviert trat ich aus dem Flughafen. Der Himmel war bedeckt, aber es regnete zum Glück nicht. Hoffentlich würde es bald aufklaren. Regen war immer ein Problem für mich und meine Tarnung.

Es war ein seltsames Gefühl, zwischen so vielen fremdartigen Menschen herumzulaufen an so einem fremdartigen Ort. Ich mein - Californien ist schon schräg, aber London war nochmal ne ganz andere Sache. Ich sah ein Hinweisschild für eine UBahn und beschloss, mit der U-Bahn zur Themse zu fahren. Als ich versuchte, das Geld in die blinkende Metallbox zu stecken, um ein Ticket zu kaufen, kam es allerdings immer wieder heraus. Ich ärgerte mich, das hatte ich oft mit meiner Mom geübt, warum klappte es nicht? Eine kräftige bebrillte Dame an einem Schalter bemerkte mein Dilemma und winkte mich herüber. "Kann ich Ihnen vielleicht helfen?", fragte sie mich mit einem seltsamen Dialekt. "Naja, ich möchte mit der U-Bahn fahren." "Das dachte ich mich schon. Eine Einzelfahrkarte?" Ich nickte. "Sie tippte auf einem Brett mit Knöpfen herum und streckte die Hand aus. Ich hab ihr das Geld. "Miss, Sie können hier nicht mit Dollar bezahlen. Sie brauchen Pfund." Ich verstand nur Bahnhof und sah sie verständnislos an." Die Frau wedelte mit meinem Geld herum. "Dollar", wiederholte sie. Dann griff sie in eine Schublade und holte noch mehr Geld. "Pfund", kommentierte sie. Sie legte die Scheine nebeneinander vor mich auf den Tresen. Nun erkannte ich, dass auf dem Papier verschiedene Bilder drauf waren. Wollte sie mir sagen, man brauchte hier nochmal anderes Geld?? "Wo bekomme ich Pfund?", fragte ich. "Gehen sie zurück zum Flughafen und suchen sie nach einer Wechselstube." Ich nickte, dankte, und lief etwas verstört zurück zum Flughafen. Was für ein Unsinn. Warum gab es hier anderes Papier als in Californien? Ich lief die Geschäfte zwischen den Terminals ab, aber konnte keine Geldtauscher finden. Schließlich fragte ich einen Verkäufer: "Verzeihung, ich brauche Pfund, wo kann ich die gegen Dollar tauschen?" Der Mann lächelte schief und deutete auf eine schmale Niesche zwischen einem Café und einem Juwelier. Ich dankte und lief darauf zu. Hinter dem Tresen stand ein langer Lulatsch mit strähnigen blonden Haaren. "Was kann ich für Sie tun?", fragte er mich. Ich holte meine Dollar hervor. "Ich brauche Pfund." Er nahm das Geld und zählte. Dann legte er es in eine offene Metallbox, die anfing zu rattern. Währenddessen kramte er in einer Metallschublade und holte Papiergeld hervor. Er schaute auf die Anzeige des Metallkastens, nickte und steckte das neue Papiergeld in einen Umschlag und hab es mir. "Benötigen Sie eine Quittung?", fragte er. Ich wusste nicht, was eine Quittung war, geschweige denn, wofür ich sie brauchen könnte, also verneinte ich. Er nickte und packte mein Geld in eine weitere Metallschublade. Ich seufzte leise und lief wieder zur U-Bahn. Die Dame am Schalter winkte mich sofort zu sich. Ich hab ihr den Umschlag und sie zog zwei Scheine heraus, klickte auf ihrem Brett herum und schob mir schließlich eine schimmernde Karte und ein paar Münzen zu. Ich hatte bereits Münzen gesehen, allerdings hatte ich den Eindruck gehabt, dass sie eher als Glücksbringer dienten. Ich dankte und nahm die Gegenstände entgegen. Wie die anderen Menschen hielt ich meine Fahrkarte vor den blinkenden Pfeil, um durch das Tor zu den U-Bahn Schächte zu kommen.

Schließlich studierte ich diverse Fahrpläne, aber ich konnte beim besten Willen die Themse nicht finden. Ich kam mir ein wenig dumm vor, aber schließlich fragte ich einen älteren Herrn mit Stock und Hut. "Verzeihung, wissen Sie, wie ich zur Themse komme?" Der Mann schaute mich an, als wäre ich nicht von dieser Welt. "Tower Bridge" murmelte er nur und drehte ab. Aber klar! Eine Brücke führt über einen Fluss! Sowas hatte ich schonmal gehört. Da ich im offenen Meer lebte, hatte ich jedoch nie zuvor eine Brücke gesehen. Ich lief wieder zu den Fahrplänen und fand heraus, welche U-Bahn wann zur Tower Bridge fuhr. Noch etwas, das neu für mich war: die Uhrzeit. Als Meerjungfrau richtet man sich nach der Sonne und der Tide.

Ich stieg also in die Bahn zu einer Menge Menschen. Ich hatte wirklich noch nie so viele Menschen auf einem Haufen erlebt. Dagegen war das Flugzeug regelrecht leer gewesen. Neben mir stand ein Mann, der einen extrem unangenehmen Geruch hatte. Dass Menschen nach etwas riechen, wusste ich bereits, denn in Californien riechen Menschen manchmal nach Blume, manchmal so, wie der Mann hier roch. Ich fragte mich, ob ich auch so riechen konnte. Ehe ich erstickte, stieg er zum Glück aus und ein Junge mit einem Getränk in der Hand stieg ein. Ich spürte, dass das Getränk kalt war. Sobald mind. 80% Wasser im Spiel ist, kann ich es auch beeinflussen. Und nur, um sicherzugehen, verwandelte ich das Getränk in einen Eisblock. Der Junge ließ das Getränk wegen der Kälte fallen und es blieb schön fest zusammen, wie ich es geplant hatte. Der Junge war sehr verwundert, aber ich ignorierte ihn.

"Tower Bridge" kam endlich die Durchsage und ich quetschte mich motiviert aus dem Menschenschwarm heraus. Der Bahnhof war sehr voll, diese Brücke musste sehr beliebt sein. Als ich die Treppe hinauf und aus dem Untergrund empor stieg, sah ich die Brücke sofort. Die beiden Türme waren unverkennbar und weil das Wasser so nah war, kribbelte es in meinen Beinen. Ich wäre am liebsten sofort hinein gesprungen, aber nicht unter den Augen dieser Menschenmassen. Zunächst musste ich eine geschützte Stelle finden. Ich lief als auf die Brücke zu und sah hinunter in das kühle Nass. Als ich aber genauer hinsah, wirkte das Wasser recht trüb, am Rand schwamm vereinzelt Abfall. Ich verzog das Gesicht. Ich konnte nicht in dieser Brühe schwimmen!

Etwas demotiviert lief ich den Kanal auf und ab. Was hatte ich erwartet? Ein Fluss mitten in der Stadt konnte doch kein tropisches Paradies sein, immerhin lebten hier so viele Menschen! Es gab Blechdosen, die sie Autos nannten, es gab Blechdosen in Form von U-Bahnen und Bussen. Apropos Busse. Ich hatte noch nie solch knallrote Busse gesehen. In Californien gab es auch Touristenbusse, aber die waren gelb. Neugierig ging ich zu einer Haltestelle. Offenbar konnte man damit durch die ganze Stadt fahren und jederzeit ein und aussteigen. Vielleicht würde ich das machen, wenn ich die Suche nach meinen Vater begann. Als erstes musste ich aber eine Unterkunft finden, die nicht allzu teuer würde...

Ich überquerte die Tower Bridge und sah eine große Kirche in der Nähe. Ich kannte Kirchen von zu Hause. Die Menschen beteten dort zu einer höheren Macht. Ich hatte aber auch gehört, dass man in Kirchen um Asyl bitten konnte und man bekam Essen und einen Schlafplatz.

Vor der Kirche waren jede Menge Touristen aller Ethnien. Ich quetschte mich hindurch und stand schließlich vor dem Eingang. Als ich hineingehen wollte, hielt mich ein billiger Mann auf. "Miss, ihr Ticket?" Ich verstand und zeigte ihm meine Fahrkarte. Er schüttelte allerdings den Kopf und deutete auf einen Schalter an der Seite. "Sie benötigen eine Eintrittskarte für den Big Ben." Für den was? Die Menschen hatten wirklich seltsame Namen für ihre Gebäude. In Californien gab es ein Gebäude mit dem Namen "Apple". Ich seufzte und nickte. Müsste man in London für alles bezahlen? Die Dame am Schalter fragte: "Wollen Sie ein Kombiticket haben oder nur ne Karte für den Big Ben?" "Was ist ein Kombiticket?", fragte ich zurück. "Mit dem Kombiticket kommen Sie auch ins London Dungen, Westminster Abbey, sie dürfen den Buckingham Palast besuchen und sie kommen aufs London Eye.", die Dame deutete auf diverse Gebäude und ein seltsam geformtes Riesenrad. Ich kannte Riesenräder aus Kalifornien, aber so eins hatte ich noch nicht gesehen. Aber ich wollte schon immer mal damit fahren! "Ein Kombiticket, bitte", sagte ich schließlich. Die Frau nickte. "Macht 55,59 Pfund bitte". Ich kramte die neue Papiergeld hervor und begann zu zählen. Das war offenbar Recht viel Geld, aber ich durfte dann auch in viele Gebäude hinein. Ich gab ihr das Geld und sie gab mir ein Ticket. "Verlieren Sie es nicht, viel Spaß!" Ich dankte und machte mich auf den Weg in die große Kirche. Sie war wirklich sehr hübsch, aber auch voller Menschen. Ich sprach eine Frau an: " Entschuldigen Sie, wissen Sie, wo ich den Leiter Hz der Kirche finde?" "Ich nix sprechen engsch", war die Antwort. Ich lächelte und nickte und suchte selber. Hinter dem Altar ging zur Seite eine Tür ab, an der ich klopfte. Als niemand antwortete, ging ich einfach hinein. Der anschließende kahle Gang führte mich zu mehreren weiteren Türen. Ich klopfte wieder und wieder antwortete niemand. Ich wählte eine Tür aus und trat in einen kleinen Aufenthaltsraum. Es gab mehrere Bänke und eine lange Tafel in der Mitte. An der Seite konnte man nach draußen schauen. So schön das alles war, so wenig fühlte ich mich willkommen und ich verließ den 'Big Ben' durch die Hintertür. Um mich ein wenig aufzuheitern, beschloss ich eine Runde auf dem London Eye zu drehen. Es lag auf der anderen Seite der Themse und so überquerte ich wieder die Tower Bridge. Ich stellte mich zunächst an eine sehr sehr lange Schlange an, als jemand fragte, ob es Menschen gäbe, die bereits ein Ticket hätten. Ich meldete mich und wurde nach vorne gewunken. Man steckte mich in eine vollbesetzte Gondel und es ging los. Ich ignorierte die anderen Menschen und schaute hinaus. Es gab eine Sache, die ich nicht bedacht hatte.... Es ging in die Höhe. Mein Magen krampfe sich zusammen und mit jedem Meter, den wir hinaufführen, sackte ich in mich zusammen. Mein Körper begann zu zittern, meine Beine gaben nach und die pure Panik ließ mich ashfahl aussehen. Ein junger Mann kam auf mich zu und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich sah ihn nur hilflos an. Er versuchte auf mich einzureden, aber ich hatte meine Hände in den Teppichboden gekrallt und die Augen fest verschlossen. Seine Stimme war komplett ausgeblendet. Erst, als eine mechanische Frauenstimme sich für unsere Teilnahme bedankte, traute ich mich, die Augen wieder zu öffnen. Wir waren am Boden und der junge Mann stand ratlos neben mir. Ich sprang erleichtert auf und tat, als ob nichts gewesen wäre. Die Übelkeit war wie weggeblasen, als ich den Boden wieder unter den Füßen spürte. "Hey, warte mal!", rief der Junge hinter mir. Ich drehte mich um und sah ihn fragend an. "Du bist nicht von hier, oder? Vielleicht kann ich dich herumführen?" Hmm. Er konnte mir sicher eine gute Unterkunft zeigen, also stimmte ich zu. Er erzählte mir ein paar Fakten über London, die ich nicht verstand, weil ich nicht wusste, was ein Millenium war oder was Gothik bedeutete. Immerhin verstand ich, dass London von einer Königin mit Namen Elisabeth regiert wurde.

Der Junge hieß Chester und war 24, auch wenn we wie 16 aussah. Chester führte mich zum Buckingham Palast. Bei Palast war ich hellhörig geworden, da es bei uns auch Paläste im Meer gibt und ich wollte einen Menschen-Palast sehen. Mit meinen Kombiticket und seinen Connections kamen wir ohne Probleme in das Gebäude. Die Räume waren Riesig und pompös und so wunderschön! Wäre der Raum mit Wasser gefüllt gewesen, wäre ich zur Decke geschwommen, um mir die Bilder genauer anzuschauen. Es war einfach toll! Als wir wieder draußen waren, gab es vorne eine kleine Zeremonie. Soldaten mit komischen Felltürmen auf dem Kopf marschierten im Gleichschritt über den Platz. Es war wirklich mitreißend und ich applaudierte mit Inbrunst. Dass wir uns dabei in der Nähe des großen Wasserbeckens aufhielten, war mir nicht entgangen und ich ließ jeden Tropfen Wasser in sicherer Entfernung von einer unsichtbaren Wand abprallen und so wurden wir nicht nass.

Nach der Parade schlenderten wir durch die Straßen und unterhielten uns. Chester war Touristenführer, hatte aber heute seinen freien Tag. Ich erzählte ihm, dass ich aus Californien käme und auf der Suche nach einer günstigen Unterkunft war. Chester sagte, er wüsste genau das richtige für mich. Ich war neugierig und folgte ihm. Zunächst sahen die Straßen noch sehr einladend aus, wie in der Nähe der Themse, aber mit jeder durchquerten Gasse, wurde der Anblick schäbiger. Ich fragte mich, ob ich nicht doch im Wasser hätte übernachten sollen. Schließlich erreichten wir ein muffiges Hostel mit angelaufenen ausgeschalteten Neonlichtern darüber. "Das gehört dem Onkel eines Kollegen. Der äußere Eindruck täuscht." Ich nickte schüchtern und folgte Chester in das schäbige Gebäude. Drinnen sah es tatsächlich sehr viel einladender aus. Auch wenn der Empfangsthresen schmal und die Wände voller Poster waren, wirkte es sauber und gemütlich. Ein älterer Mann stand dort und begrüßte Chester. "Chester Junge, dich hab ich ja ne Ewigkeit nicht mehr gesehen. Was macht die Arbeit?" "Hab heute frei." "Bist du auf einen Tee vorbei gekommen?" Chester schüttelte den Kopf. "Ich hab einen Gast dabei. Sie braucht ein Bett". Der Mann musterte mich mit scharfen Blick, lächelte dann aber und erklärte: "ich kann die ein Bett anbieten, allerdings musst du das Zimmer teilen". Ich zuckte mit den Schultern. Es war sowieso mein erstes Bett überhaupt, es war mir egal, ob da Menschen mit im Zimmer waren oder nicht. Ich nahm das Zimmer also an und erhielt einen winzigen Schlüssel, der wohl zu einem Schließfach mit der Nummer 5 gehörte. "Treppe rauf, rechts, Zimmer 3 Bett 5", erklärte der Mann. "Bettwäsche bring ich dir gleich, das Badezimmer für die Frauen ist direkt gegenüber." Ich dankte ihm und wollte mich von Chester verabschieden, aber der lehnte ab. "Du brauchst dich noch nicht verabschieden, wenn du deine Sachen verstaut hast, gehen wir ins Dungen." Ich sah ihn verwirrt an, aber dann klickte es. Das London Dungen war wohl auch einen Sehenswürdigkeit, denn sie war im Kombiticket enthalten. "Alles klar, dann bis gleich!", rief ich ihm zu und lief die Treppe rauf. Hier oben waren die Wände blau gestrichen. Zimmer 3 lag gleich rechts und gegenüber, wie angekündigt, das Bad. Ich klopfte an, und jemand rief "Herrein". Drinnen standen 6 Doppelstockbetten und ich hatte aber eines der unteren Betten direkt neben der Tür. Zwischen den Betten standen verteilt ein paar Spinde. Nummer 5 war leer. Ich beeilte mich, meine Kiste zu verstauen und ein wenig Geld in eine versteckte Tasche meines Kleides zu stopfen. Der Spindschlüssel kam ebenfalls dorthin. Meine Mitbewohner hatte ich bisher komplett ignoriert, aber als ich mich jetzt umsah, merkte ich, dass mich 4 Augenpaare anstarrten. "Hi, ich bin Nalu". "Yo Nalu, ich bin Ahmed. Komm aus der Türkei.", stellte sich ein schwarzhaariger Junge mit goldenen Kettchen und Kappe auf dem Kopf vor. "Lalita, ich komme aus Indien", erklärte eine wunderschöne Frau mit langem geflochtenen Zopf und bunten Augen. "Hallo Nalu, ich bin Youlong, Chinese", erklärte ein schlitzäugiger Junge mit glatt rasiertem Schädel. "Bennet aus Deutschland", erklärte ein sportlicher großer Typ und reichte mir die Hand zum Gruß. Ich kannte beim besten Willen keinen dieser Orte oder Namen, aber ich war sehr neugierig, alles zu erfahren. "Woher kommst du?", fragte Lalita neugierig. "Ich lebe in Kalifornien." "Machst du hier Urlaub oder suchst du auch eine Anstellung?" Ich wusste nicht, was das bedeutet, also antworte ich "Urlaub".

Ahmed ließ sich auf sein Bett fallen. "Mein Bruder arbeitet hier und ich will bei seinem Geschäft einsteigen. Er verkauft Elektronik. Aber vorher muss ich Geld sparen, deshalb wohn ich hier." Ich verstand nicht, was er verkaufen wollte, aber ich erkannte, dass er Geld sparen wollte. Lalita erklärte, dass sie eine Art Studienreise durch viele Länder machte, um viel zu lernen. "Ich bin hier für work and travel und arbeite zur Zeit in einem Restaurant als Kellner. Da ich keinerlei Erfahrung mitbringe, verdiene ich nicht viel und kann mir nur das hier leisten", Bennet zuckte die Schultern. Yulong war Student und ebenfalls auf einem Städtetrip während der Semesterferien, was auch immer das heißen mochte. Mein Wortschatz war bzgl Menschen noch immer sehr eingeschränkt, was auch daran lag, dass ich nicht nachfragte. Bevor ich von meinem Vater erzählen konnte, stand Chester plötzlich in der Tür: "Nalu, wir müssen los, das Dungen schließt bald." Lalita war begeistert: "Ihr geht ins London Dungeon? Da wollte ich auch noch hin, kann ich mitkommen?" Ihre Frage galt nicht mir, sondern dem jungen Briten hinter mir. Chester nickte: "Klar!" Lalita war eine Schönheit, wie hätte er es ihr abschlagen können? Und so liefen wir zu dritt bei Nacht durch London. Das Dungeon war einen gesunden Fußmarsch entfernt. Ich war es nicht gewohnt, viel zu laufen und mir taten schnell die Beine weh, auch weil dieser Tag bereits viel Lauferei hinter sich hatte. Wir erreichten das Dungeon endlich und es hatte was von einer Horrorshow. Überall standen gruselige Menschenfiguren und einige bewegten sich sogar. Ich kreischte bei jeder Bewegung und Lalita ging es nicht anders. Allerdings klammerte sie sich an den Arm von Chester, der das sichtlich genoss. Ich müsste schmunzeln, bevor ich den nächsten Schreck bekam, als vor mir plötzlich ein abgetrennter Kopf in der Luft baumelte.

Nach diesem Horrortrip ging es wieder zurück in die Unterkunft. Chester verabschiedete sich hastig, zu Lalitas Enttäuschung, versprach ihr aber, am nächsten Tag wieder zu kommen. Ich hatte andere Pläne. Ganz oben stand, meinen Vater zu suchen.

Der nächste Morgen war sehr neblig. Ich saß bereits um 7uhr hellwach im Bett. Ich konnte nicht mehr schlafen, zum einen war das Bett sehr unbequem, zum anderen war ich sehr aufgeregt. Ich zog mich also an und ging hinaus. Normalen Menschen wäre wohl kalt gewesen, aber der kühle Dunst in der Luft erinnerte mich an die See. Ich musste aufpassen, dass die Tröpfchen meine Haut nicht berührten, was eine enorme Konzentration erforderte. Mit dem Sonnenaufgang verflog der Nebel, aber der Himmel blieb grau. Ich lief wieder ein Stück die Themse entlang. Einige Menschen arbeiten bereits auf ihren Booten. Verkäufer richteten ihre Stände her. Die Themse floss müßig und war grau wie der Himmel. Dennoch vermisste ich das Gefühl des Wassers um mich herum immer mehr und ich beschloss, trotz des Mülls, einen geschützten Einstieg zu suchen. Je weiter ich lief, desto mehr Menschen kamen auf die Straße und desto unpraktischer wurde das ganze. Trotzdem erreichte ich schließlich einen Kanal, der unbeobachtet schien, aber direkt mit der themse verbunden war. Hinter ein paar Mülltonnen entledigte ich mich meiner Kleider und ließ mich ins kühle Nass gleiten. Sofort fing meine Haut an zu kribbeln und meine Beine verschmolzen zu einem kräftigen blau-violett geschuppten Schwanz. Ich liebte diese Farbe, ich hatte sie von meiner Mutter geerbt. Obwohl das Wasser sehr trüb war, war die Orientierung kein Problem. Alleine anhand der Strömung und der Wellen wusste ich, wo ich war. Es war einfach herrlich. Die Themse war in der Tiefe gar nicht mehr so schlimm. Neben ein paar grauen Aalen traf ich auch Lachse, Forellen und Zander, aber nicht besonders viele. Überfischung war wohl auch hier ein Problem. Ich beschloss, zunächst gegen die Strömung die Themse hinauf zu schwimmen. Ich war sehr schnell unter Wasser, aber für eine Strecke von 1h Fußweg benötigte ich nur 15min. Ich schwamm also ca. 40min die Themse rauf, bis ich nicht mehr weiter kam. Vor mir lag eine große, Höhe Betonwand, die es mir unmöglich machte, weiterzukommen. Hier war wenig los, ich hatte die Stadt wohl verlassen. Für dem Rückweg lies ich mir viel Zeit. Ich trieb mit der Strömung und grüßte die Fische. Nach der Hälfte etwa gesellte sich ein Seehund zu mir. Ich spielte ein wenig mit ihm und ich vergaß allmählich die Zeit. Irgendwann schwamm ich zum Luft-holen an die Oberfläche und musste nach einer schnappatmung schnell wieder untertauchen. Ich war wieder in der Touristenhochburg gelandet. Jetzt erst bemerkte ich auch die vielen Boote über mir. Gefolgt von dem Seehund, ich nannte ihn Sticky, schwamm ich wieder in den kleinen Kanal hinein. Es war niemand in der Nähe. Mühsam hievte ich mich aus dem Wasser. So ein fischschwanz war praktisch im Wasser, aber an Land eher mühselig. Mit einer Hand ließ ich das Wasser auf meiner Haut verdampfen, ein weiterer kleiner Trick, den ich als Meerjungfrau drauf hatte. Sobald ich wieder Beine hatte, schlüpfte ich in meine Kleider. Sticky klebte an mir und wollte mich nicht gehen lassen. Auch als ich den Hafen entlang Richtung Tower Bridge lief, folgte er mir. Erst als um mich herum die Touristen mit den kleinen Blitzkisten auf ihn los gingen, tauchte er ab. Ich nutzte das Getümmel, um mich unter die Leute zu mischen.

Als ich so durch die Straßen spazierte, kam ich an vielen kleinen Läden mit allerlei Krimskrams vorbei. Ich wusste bei den meisten Sachen nicht, wozu es gut war, aber es stand überall London drauf. Ich sollte meiner Mutter und meiner besten Freundin später so ein Souvenir kaufen. Fürs erste schlenderte ich nur herum. Als ich so herum spazierte, viel mein Blick auf ein großes seltsam geformtes Gebäude. Es sah fast aus wie eine kaurimuschel. Davor stand ein großes Schild: City Hall of London. Das klang, als ob hier die Berater und die Königin arbeiteten. Ich beschloss, in dem Gebäude nach meinem Vater zu fragen und ging hinein. Die Eingangshalle war enorm. Die verschiedenen Etagen unterstützen eher den Vergleich mit den Kammern einer Schnecke.

Unten war ein großer Empfangsthresen und dahinter zwang sich eine aufgesetzte Dame ein Lächeln ab. "Wie kann ich Ihnen helfen?" "Hallo! Ich suche meinen Vater." "In welcher Abteilung arbeitet er?" "Oh das weiß ich nicht, deshalb suche ich ihn ja." Die Dame seufzte laut und ihre Mundwinkel sanken ein Stück. "Wie heißt er denn? Ich schaue in der Personalliste nach." "Fynn Bay." Sie klickerte auf einem Brett herum und starrte auf einen leuchtenden schmalen Kasten. "So jemand arbeitet hier nicht, sind sie sicher, dass er hier angestellt ist?" Ich schüttelte den Kopf: "Nein, ich weiß nicht, wo er ist, deshalb suche ich ja nach ihm. Ich weiß nur, dass er aus London kommt." Nun versagte das Lächeln der Frau vollends. "Wollen Sie meine Zeit verschwenden? Warum sagen sie nicht gleich, dass sie eine vermisste Person finden wollen?" Ich war etwas verunsichert und schwieg. "Gehen sie in den 3. Stock, zweite Tür rechts. Ziehen Sie eine Nummer und warten Sie, bis sie an der Reihe sind." Ungeduldig wedelte sie mit der Hand. Ich winkte zurück und stieg die beeindruckende Treppe hinauf. Auch wenn wir keine Beine benutzten, gab es in meiner Heimatstadt auch Treppen. Meistens waren es Relikte von Menschen, Ruinen von versunkenen Städten, die wir neu bevölkerten. Diese Treppe hier hätte sich unter Wasser auch hervorragend gemacht. Treppen steigen war nämlich ziemlich anstrengend. Ich erreichte die Etage, die mit einer überdimensionierten 3 beschriftet war und folgte den Anweisungen der Empfangsdame. Zweite Tür rechts. Hinter der Tür folgte ein größerer Raum mit mehreren Stühlen in Reihen. Dahinter war ein weiterer Gang mit 4 weiteren Türen, alle groß mit 1-4 beschriftet. An einer Wand stand groß "Einwohnermeldeamt". Ich kannte das Wort bisher nicht, aber es ergab immer mehr Sinn, je mehr ich darüber nachdachte. In dem Raum saßen noch 5 andere Leute und alle hielten einen kleinen Zettel in der Hand. An der Wand hing ein kleiner leuchtender Kasten, auf dem Nummern zu sehen waren. B34 - Raum 3, stand da. Plötzlich ertönte eine Gong und die Nummer änderte sich: B35 - Raum 4. Eine Frau in den 30ern stand auf und ging zu der Tür mit der großen 4. Das Prinzip hatte ich verstanden. Unter dem Bildschirm stand ein Kasten, beschriftet mit "hier Nummer ziehen". Ich drückte auf die Schrift auf dem Kasten und eine Nummer kam heraus. B39. Ich ließ mich auf einen der Sitze fallen und sah mich um. Auf einem kleinen Tisch lagen Zusammengeklebte bedruckte Blätter. Ich war sehr neugierig und blätterte darin herum. Die Seiten waren knallbunt und voller Bilder und Texte. So etwas gab es bei uns auch nicht. Ich las ein paar Dinge und erfuhr, dass eine Frau mit sehr viel Oberweite und Po offenbar auch Schwestern hatte, die genauso aussahen. Ein trainierter Mann hatte sich von einer Frau getrennt. Eine Brünette wurde oben nackt fotografiert. Für uns Meerjungfrauen war es total normal, oben nackt zu sein. Wir trugen keine Kleidung wie die Menschen. Auch das war eine Umstellung für mich gewesen.

Endlich gongte es und meine Nummer stand an der Wand. Raum 1. Ich klopfte und trat ein. Ein breiter Tisch mit allerlei Papier und vielen Utensilien stand vor mir. Dahinter saß eine kleine gestresste Frau mit kreisrunder Brille und zerzausten roten Haaren. Hinter ihr waren große metallische Schränke platziert. "Kommen Sie nur, kommen Sie nur." Sie winkte mich herein und ich nahm vor ihr auf einem der Polsterstühle Platz. "Was kann ich für Sie tun?", fragte sie und lächelte, ehrlich freundlich. "Ich bin auf der Suche nach meinem Vater. Ich habe ihn noch nie gesehen, aber ich weiß, dass er in London lebt.", erklärte ich, diesmal ausführlicher. "Sein Name ist Fynn Bay." Die Frau nickte und begann auf einen Brett herumzutippen. Das schien irgendwie in Mode zu sein. "Jaa, ein Fynn Bay hat hier mal gelebt, ist allerdings nach Schottland, genauer, nach Fort Augustus gezogen. Ob es sich dabei um Ihren Vater handelt, das weiß ich nicht. In seiner Akte ist kein Kind eingetragen." Ich dankte, ließ mir die genaue Adresse geben und überlegte, wie ich nach Schottland kam. Oder wo Schottland überhaupt lag.

Wir haben im Unterricht mal über die Kontinente gesprochen, daran erinnerte ich mich. So, wie es verschiedene Areale in den Ozeanen gab, hatten die Menschen die Kontinente unterteilt. Ich erinnerte mich, dass auch Menschen Karten anfertigen. Ich beschloss einen Laden zu finden, der Karten hatte und ich suchte nicht lange. Meerjungfrauen hatten auch Karten, allerdings sehr selten und meist waren es eher Orientierungspunkte, die in Stein geritzt worden waren. Aber manchmal stellten diese Punkte Orientierungssteinplatten ganze Inselgruppen dar. Menschen malten alles auf Papier, da Papier im Trockenen auch sehr robust war und lange überdauerte. Manchmal fand ich auch im Wasser Papier, aber es löste sich immer innerhalb kürzester Zeit auf. Bücher lesen konnten wir also nicht. Nun stand ich aber in einem Geschäft, dass bis zur Decke voller Bücher war. Es hieß "Libary" und es gab auch Tische und Sitzgelegenheiten, um die Bücher zu durchblättern. Ich fragte direkt die erste Angestellte, die ich finden konnte und sie führte mich durch die verwinkelten Regalreihen bis in eine Niesche. Hier stand ein kleiner Sessel rundherum viele Bücher. Die Frau bückte sich und hievte ein großes schweres Buch auf den kleinen Beistelltisch. Auf dem Einband prangte "Atlas". Ich danke ihr und begann darin zu blättern. Sie ging wieder an die Arbeit. Dieses Buch war sehr ausführlich, aber nach einer Weile fand ich eine Karte, auf der London beschriftet war. Offenbar befand ich mich hier in einer Vereinigung von Königreichen. Das Reich, in dem ich mich befand, hieß England. Im Norden lag Schottland und im Südwesten Wales. Diese Aufteilung der Kontinente war schon echt umfangreich. Ich fand in dem Buch auch die Länder, die meine Mitbewohner in der Unterkunft genannt hatten: Indien, Deutschland und China. Indien und China lagen an weit entfernten Meeren. Deutschland teilte sich ein großes Meer mit dem vereinigten Königreich. Die Menschen nannten es die Nordsee. Bei uns war das Meer wieder unterteilt in 5 verschiedene Abschnitte und dort lebten verschiedene Meerjungfrauenschwärme. Es war faszinierend, wie anders und doch so ähnlich die Welt der Menschen aufgebaut war. Californien war anscheinend auch kein eigenes Land, wie England. Es gehörte zu einem sehr großen Land, genannt "Vereinigte Staaten von Amerika". Ich lebte nur an einem winzig kleinen Punkt dieses großen Landes. Es gab kein Meerjungfrauenmeer, das so groß war. Ich widmete mich wieder England zu und überlegte, wie ich ohne viel Geld nach Schottland kam. Offenbar lag die Stadt London sehr nah an der Küste und ich müsste über die Themse das Meer erreichen. Dann würde ich parallel zur Küste gen Norden schwimmen. Die Strecke war nicht ohne. Ich kannte die Gewässer nicht und es war ein weiter Weg, aber ich war fest entschlossen, die Reise anzutreten. Unterwegs könnte ich ja Landgänge machen und mich nach dem gesuchten Ort erkundigen, denn eine Karte nur von Schottland fand ich nicht. Energiegeladen sprang ich auf und beschloss sofort aufzubrechen, um keine Zeit zu verlieren. Außerdem freute ich mich total, wieder etwas zu schwimmen.

Als ich die Unterkunft erreichte, war nur Youlong da. Er fragte, was ich so gemacht hatte und ich erzählte ihm, dass ich nach Schottland weiterreisen würde, um meinen Vater zu finden. Er fragte, ob wir "Nummern austauschen" könnten, aber ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete und lehnte höflich ab. Er war sichtlich gekränkt, aber nickte auch. "Das ist sehr schade, ich schließe gerne neue Freundschaften." Ich versprach ihm, ihn zu besuchen, wenn ich wieder in London war. Er wollte seinen Aufenthaltsort bei dem Vermieter hinterlegen. Ich holte meine Kiste, ging nach unten und traf den Onkel von Chester an. "Willst du schon abreisen, junge Dame?" Ich nickte und fragte, wie viel Geld ich ihm schuldete. Der kleine dicke Mann mit dem Zwiebelbart sah mich durch seine runde Brille mit runden Augen an. "Lange waren sie ja nicht hier. Macht 15Pfund." Ich nickte freundlich und bezahlte. Dann machte ich mich auf den Weg. Meine Kiste war wasserdicht und so konnte ich Papiergeld auch wunderbar darin transportieren. Ich machte mich auf den Weg zur Themse. Der Feierabendverkehr war immens. Überall waren Menschen und ich befürchtete schon, keine geeignete Einstiegsstelle zu finden. Zum Glück waren unter einer größeren Brücke ein paar Halbrunde Nieschen im Pfeiler und so konnte ich mich ungesehen ausziehen, alles in meiner Kiste verstauen und ins Wasser gleiten. Ich orientierte mich unter Wasser kurz und folgte dann in gewisser Tiefe der Strömung Richtung Meer. Tatsächlich brauchte ich nur eine knappe halbe Stunde, um die "Nordsee" zu erreichen. Auf einer vorgelagerten Sandbank tollten ein paar Seehunde und ich erkannte einen sofort wieder. Sticky kam blitzschnell auf mich zugeschwommen und umkreiste mich fröhlich. Ich begrüßte ihn ebenfalls, in dem ich um ihn herum schwamm und mich drehte. Seine Freunde waren neugierig näher gekommen. Ich fragte mich, ob sie schonmal eine Meerjungfrau gesehen hatten. Mit einem Winken gab ich ihnen zu verstehen, dass ich nun weg musste und schwamm los Richtung Norden. Sticky folgte mir noch ein paar Kilometer, drehte dann aber ab. Die Nordsee war kälter als meine Heimat. Dennoch freute ich mich sehr, das Wasser zu fühlen und meinen Fischschwanz zu sehen. Ich hatte ihn mehr vermisst, als ich dachte. Ich schwamm mit voller Kraft, was mich schneller ermüden ließ, aber ich wollte möglichst weit kommen, ehe ich die erste Pause einlegte. Um mich herum war nicht viel zu sehen. Das Wasser war trübe und es gab einzelne Algenbüschel und Algenteppiche. Kleine und größere Fische begleiteten mich ein Stück und bogen dann ab, weil sie das Tempo nicht halten konnten. Unter Wasser war die Welt langsamer. Raubfische hatte ich noch gar nicht entdeckt und auch waren die Fische hier eher grau. Etwa zwei Stunden hielt ich durch, dann war ich erschöpft und beschloss eine Pause zu machen. Es gab hier ähnliche Muscheln und Tang wie bei uns und so hatte ich ein Abendessen. Die Nacht brach heran und es war sehr dunkel. Ich konnte mich im Wasser nur noch anhand der Strömung und Wellen orientieren. Als ich zur Oberfläche schwamm, sah ich, dass an Land keinerlei Lichter zu sehen waren. Ich war wohl weit weg von der Stadt. Da ich nicht wusste, welche Meerestiere bei Nacht unterwegs waren und ich keinen Angriff riskieren wollte, schwamm ich zum Strand. Allerdings war hier kein Strand, die Küste bestand nur aus zerklüfteten Felsen. Für eine Meerjungfrau war das ein tolles Versteck und so verbrachte ich die Nacht zwischen den Felsen im Wasser.

Die kalte Brise belebte meinen nackten Körper. Ich zog die Knie zum Bauch und rieb mir die Arme. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Nanu? Das Wasser war verschwunden. Um mich herum war der Sand feucht, aber nicht feucht genug, um meinen Fischschwanz zu behalten. Was war passiert? Warum war das Wasser weg? Vorsichtig stand ich auf. Auf meiner Schulter klebte ein Seestern, der wohl auch nicht gerne auf dem trockenen saß. Ich sah mich um. Vor mir war bis zum Horizont nur Sand zu sehen. Hinter mir ragte eine steile Felswand empor. Ich sollte mich auf den Weg machen und das Wasser suchen. Vlt fand ich ja ein gutes Frühstück. Gesagt getan und es gab wieder Miesmuscheln und ein paar Stabmuscheln. Es war sehr schwer zu gehen, da ich immer wieder im Schlamm versank. Ab und zu war es so nass, dass ich zur Meerjungfrau wurde und wie ein Fisch auf dem trockenen herumlag. Das konnte so nicht weitergehen und ich dachte über eine Taktik nach. Ich könnte meine Kräfte einsetzen und das Wasser ein wenig kontrollieren. Vielleicht war es mir möglich, die Zustandsform zu ändern. Ich konnte nicht das ganze Wasser verdampfen, aber ich könnte es stellenweisen gefrieren lassen, um mir meinen Weg zu bahnen. Ich streckte die Hand aus und konzentrierte mich. Man konnte es nicht sehen, aber ich übertrug meine Energie auf das Wasser, um seinen Zustand für einen begrenzten Zeitraum zu verändern und es funktionierte. Barfuß schlitterte ich über die Eisbahn, die ich geschaffen hatte. Bald konnte ich auch das Wasser sehen. Wie konnte es nur so weit zurück gehen? Es würde schwer werden, sich an der Küste zu orientieren, wenn das Meer so weit weg war. Vielleicht fand ich den einen oder anderen Meeressäuger, den ich fragen konnte. Robben und Wale können zwar nicht sprechen, aber im Wasser verstehen wir uns dennoch. Endlich hatte ich das Wasser erreicht. Leider wurde ich bereits im flachen Wasser zum Fisch, aber es dauerte zum Glück nur eine halbe Stunde bis das Wasser gestiegen war und ich meine Flosse wieder benutzen konnte. Ich hatte viel Zeit verschwendet, ich musste Strecke machen und schoss los. Gegen Mittag entdeckte ich ein Fischerboot, das auf dem offenen Meer vor sich hindümpelte. Sie hatten Netze ausgelegt und ich musste aufpassen, dass die Strömung mich nicht hinein trieb. Geschickt wich ich aus und wollte schon weiter, als ich etwas beobachte. Ein glatzköpfiger Mann mit gelber Weste bedrohte einen jüngeren Mann mit blauer Regenjacke. Dieser hob beschwichtigend die Hände. Als ein dritter Mann zu ihnen stieß, ließ der Glatzkopf das Messer hinter dem Rücken verschwinden. Da ging doch etwas vor an Bord. Vorsichtig näherte ich mich dem Boot, die Netze im Blick. Vielleicht konnte ich etwas hören. Als der dritte wieder nach vorne ging, sagte der Glatzkopf nur noch "Geh an die Arbeit, dafür wirst du bezahlt." Ob er dabei von der Fischerei sprach? Ichwar schon neugierig, hatte aber auch meinen Zeitplan im Kopf. Dennoch entschied ich mich, dem Geschehen auf den Grund zu gehen. Um ein Problem zu verursachen, suchte ich nach einer sehr scharfkantigen Muschelschale und begann die Netze zu zerlegen, bis sie in Fetzen hingen.

Die Männer würden vermutlich bald die Netze einholen und ich war sehr interessiert, wie sie reagieren würden. Aus einiger Entfernung beobachtete ich wieder das Geschehen an Bord. Der Unwissende stand die meiste Zeit auf der Brücke. Die anderen beiden taten dies und das. Als sie sich zur Mittagspause zusammen setzten, beschloss ich, ebenfalls einen Snack zu sammeln. Ein paar hundert Meter entfernt fand ich ein kleines Austernfeld und freute mich tierisch. Leider waren die Austern nicht so lecker, wie bei uns, aber dennoch eine Delikatesse. Als ich wieder auf Beobachtungsposten war, betätigten der Glatzkopf und der Junge die Winde, um die Netze einzuholen. Ich grinste in mich hinein. Die Männer waren bereits unruhig, vermutlich, weil der Zug zu leicht war. Als sich das Netz aus dem Wasser hob, schrien sie auf, fluchten, stampften und hielten sich den Kopf. Es wurden viele Vermutungen von Monsterkrabben, Piranhas, Haien und Seeungeheuern geäußert, aber keiner kam auf die Idee, es könnte eine Meerjungfrau sein. Die Männer machten den Kutter klar zur Heimfahrt. Ich folgte ihnen in sicherem Abstand. Eine Stunde später sah ich den kleinen Ort vor uns liegen. Das Wasser war wohl zurück gekehrt. Um nicht entdeckt zu werden, suchte ich mir einen kleinen Strand zwischen ein paar Felsen in der Nähe des Ortes. Ich holte meine Kleidung aus der Kiste und suchte dann einen Weg, die steile Felswand zu erklimmen. Lange musste ich nicht suchen, denn es waren ein paar Stufen in den Fels gehauen, die zu einer Metalltreppe in einer Kluft führten. Oben erreichte ich einen Parkplatz. Das Land war hügelig, windig und von Gras bewachsen. Soweit ich sehen konnte, gab es weder Palmen noch Bäume. Es war so kahl wie die See, irgendwie passend. Als ich den Ort erreichte, fühlte ich mich irgendwie unwohl. Ich glaube es lag an dem, was ich vorhatte. Leute beschatten. Wenig später erreichte ich den Hafen. Der Glatzkopf erzählte gerade einem Hafenarbeiter, dass ein Seeungeheuer das Netz zerfetzt hätte. Ich schmunzelte und setzte mich in Hörweite auf eine hübsch verzierte Bank. Der Mann beschrieb, dass eine riesige Kreatur mit messerscharfen Reißzähnen gekommen wäre. Sie hätte einen langen Hals gehabt, wie ein Urgetier. Ich lächelte und schüttelte den Kopf bei dieser absurden Beschreibung. "Es mag total verrückt klingen, aber Tatsache ist, etwas hat unser Netz zerfetzt", sagte plötzlich eine Stimme neben mir. Es war der junge Mann vom Kutter. Mir blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Ich schaute ihn verdutzt an. "Du bist nicht von hier, besuchst du jemanden?", fragte er mich. Ich war etwas überrascht und so schnell wollte mir nichts einfallen: "Ich, äh... ich hab... Ich bin" Er unterbrach mich: "schon okay, hier kennt halt jeder jeden und ich dachte, ich weiß vielleicht, wenn du besuchst. Oder hast du im 'Seestern' ein Zimmer?" Aus dem Kontext entnahm ich, dass der 'Seestern' wohl eine Unterkunft war, also nickte ich nur. "Was führt dich in diesen Ort? Bist du auf der Durchreise?" "Ja, ich will eigentlich nach Fort Augustus." "Nein, wirklich? Das gibt's nicht! Meine Schwester ist vor zwei Jahren dort hingezogen. Schon lustig, dass du zum Loch Ness willst, wo wir doch auch hier ein Monster entdeckt haben.", Er lachte. Ich lächelte höflich, verstand aber nur, dass er den Ort offenbar kannte. Vielleicht konnte er mir sogar helfen. Ich musste vorsichtig sein. "Woher kommst du denn eigentlich?", fragte er weiter. "Aus Californien.", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Hast du auch einen Namen?". "Nalu." "Ich bin Fynn, freut mich, deine Bekanntschaft zu machen", er reichte mir die Hand und ich schüttelte sie. "Ich muss jetzt weiterarbeiten, aber wenn du später Zeit hast, kann ich dich durch den Ort führen. Oder hast du schon alles gesehen?" Das war die Gelegenheit, ihn auszuquetschen. "Ich bleibe sicher noch eine Weile hier, komm einfach, wenn du fertig bist", antwortete ich fröhlich. Fynn war unerwartet sympathisch. Irgendwie machte mir das gute Laune. Er lief zu dem Glatzkopf zurück und sie begannen ein paar Kisten vom Schiff in einen Lagerraum zu tragen. Schließlich nahmen sie das Netz ab und breiteten es auf dem Pier aus. Eine Frau und ein Mann in Uniform fuhren mit einem Blau-Weißen Wagen vor und dokumentierten die Schäden, die ich mit der Muschel verursacht hatte. Dann wurde das Netz wieder zusammengerollt. Die Uniformträger verließen das Gelände und der Glatzkopf bedeutete Fynn, ihm ins Lager zu folgen. Diese Geste ließ mich aufhorchen und ich schlich mich näher heran. "Wenn da draußen ein Schwarm Piranhas herumschwimmt, werde ich definitiv nicht schwimmen gehen. Jetzt ist das Netz auch noch kaputt und der Alte wird sein Ersatznetz haben wollen. Wie sollen wir ihm das scheiß Loch erklären, dass du beim letzten Mal reingerissen hast?" "Das Ersatznetz lag theoretisch Jahr lang im Keller. Der Keller ist kalt und nass und stinkt nach Fisch. Sag einfach, es waren die Ratten." " Na schön, aber wir haben trotzdem kein Netz, um die Kiste zu bergen. Wie stellst du dir das vor?" "Wir wissen dich nichtmal, ob es Gold ist. Außerdem gibt es moderne Technik, wer würde da noch ein Fischernetz verwenden?" "Willst du mich verarschen? Das Geld liegt auf dem Meeresboden und du sagst mir, ich soll mir teure Technik kaufen? Du weißt genau, dass ich dich für die Bergung brauche. Wenn du zurück ziehst, dann muss ich eben wieder zu härteren Mitteln greifen. Du weißt, was ich gegen dich in der Hand hab." Fynn seufzte. "Na schön, dann lass uns mit der Ebbe rausfahren. Dann haben wir knapp 6h im flachen Wasser. Die Metallstange müsste noch vor Ort stecken, da wir sie ja nicht bergen konnten. Aber so finden wir die Stelle wieder und können von da aus mit dem Detektor weiter suchen." Das Gespräch war zu Ende und ich beeilte mich, wieder auf der Bank zu sitzen, bevor die beiden Männer aus dem Lager kamen. Fynn meldete sich noch bei seinem Chef ab, der auf der Brücke in einem Buch schrieb und kam dann zu mir. "Ich hab 2h Zeit, lass uns erst ein bisschen herumlaufen und dann was essen." Fynn zeigte mir diverse Gebäude: eine Bäckerei, eine Kneipe, ein Cafe, die Pension Seestern, eine weitere Kneipe,... So ging es eine ganze Weile, bis mir die Füße weh taten. "Hey, magst du Fisch? Meine Mom macht heute einen Sprottensalat und dazu gefüllten Dorsch. Es ist sowieso bald Zeit fürs Abendessen." Ich stimmte zu und so führte mich Fynn in die Nähe des Leuchtturms. Nur wenige hundert Meter entfernt stand nahe der Steilküste ein kleines Backsteinhäuschen auf einem Hügel. Es war von weitem hübsch anzusehen, aber in der Nähe stark von Wind und Wetter vernarbt. Fynn klingelte und ging dann einfach hinein. Eine hübsche Frau in den 40ern kam ihm mit Handschuhen entgegen und umarmte ihn. Fynn war relativ groß und schlank. Er sah seiner Mutter gar nicht ähnlich. Ihre roten Korkenzieherlocken standen sehr im Kontrast zu seinem braunen Wuschelkopf. Ich hatte mich nicht über die Schwelle getraut, weil ich die Gepflogenheiten hier nicht kannte. Fynns Mutter war aber eine sehr herzliche Frau und begrüßte mich freudestrahlend direkt mit einer festen Umarmung. So fremd ich mich zunächst gefühlt hatte, so willkommen war ich jetzt. Fynns Vater war ein sehr großer dünner Mann mit wettergegerbter Haus und wilden grauen Haaren. Er wirkte nicht interessiert, aber er war ein stiller Beobachter. Wie ein Hai, der zwar eher ein Einzelgänger war, aber auf seine Familie acht gab. Fynn und ich deckten den Tisch und bald sah ich mich vor ein neues Problem gestellt. Ich hatte noch nie mit Messer und Drei- ...Moment, Vierzack gegessen. Fynns Mutter servierte bald den Fisch und es duftete herrlich. Meerjungfrauen aßen alles roh. Ich hatte mal von ein paar Schwärmen gehört, die Ihre Nahrung über heißen unterirdischen Quellen kochten, aber ich habe es selber noch nicht erlebt. Ich war sehr neugierig auf den Geschmack, aber ich traute mich nicht, das Besteck in die Hand zu nehmen. Erst als die Familie anfing zu essen, versuchte ich deren Haltung zu übernehmen. Das mit dem Messer hatte ich schnell raus, aber die Haltung des Vierzacks war ein absolutes Rätsel für mich. Dennoch schaffte ich es irgendwie, das köstliche Gericht in meinen Mund zu befördern. "Das ist wirklich lecker!", rief ich. Fynns Mutter war sichtlich berührt von meiner Begeisterung. Dann begann sie mir Fragen zu stellen: Woher kommst du? Wie lange bleibst du? Wo willst du hin? Was führt dich her?" Die letzte Frage beantwortete ich mit 'Urlaub'. "Bist du Studentin?", fragte mich plötzlich Fynns Vater. "Gewisser Maßen", antwortete ich etwas zu schnell. Aus Meerjungfrauensicht studierte ich die Menschen. Aus menschlicher Sicht, war das ne verdammt seltsame Antwort. "So?", der Alte war misstrauisch geworden, "was studierst du?" "Meerestiere!", platzte es aus mit heraus. "Du studierst Meeresbiologie?", fragte mich Fynn nun. Ich nickte nur, weil mir nichts besseres einfiel. "Und du arbeitest auf einem Fischerboot? Ist es das, was du machen willst?" Fynn sah mich ein wenig verschlossen an. "Mein Großvater war Fischer, mein Dad war Fischer und sein Sohn sollte die Tradition fortführen.", antwortete er schließlich und steckte sich ein großes Stück Dorsch in den Mund. Ich nickte, hatte aber verstanden, dass das Thema hier ein Tabu war. Meine Freundin Kila war auch Perlensammlerin geworden, weil ihre Mutter es so wollte. Wieder eine Gemeinsamkeit der Meer- und Landmenschen. "Wir haben heute ein Raubtier verärgert!", platzte Fynn plötzlich heraus, "es hat uns das Netz vollkommen zerfetzt. Nachher treff ich mich nochmal mit Garry, um im Watt nach Spuren zu suchen." "Es hat das Netz zerfetzt?", sein Vater war wie ausgewechselt, "habt ihr es auf dem Radar gesehen?" "Leider haben wir das Radar nicht die ganze Zeit im Auge behalten." "Habt ihr einen Schatten im Wasser gesehen? Etwas gehört? Hat das Boot geschaukelt?" "Dad, es wir hatten heute Windstärke 5, da ist das Meer immer etwas unruhig. Einen Schatten hab ich nicht gesehen, aber ich glaube, als ich mit Garry am Heck stand, war da etwas...." Als ich das hörte, verschluckte ich mich heftig und fing an zu husten. Fynns Mutter sprang hilfsbereit auf und klopfte mir auf den Rücken. Fynn reichte mir ein Glas Wasser.

"Meinst du es war ein Hai?", fragte sein Vater. "die Spuren sehen eher wie ein Schwarm von Piranhas aus. Aber ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung." Sein Vater fing an zu grübeln und sagte kein weiteres Wort. Nach dem Abendessen verabschiedeten Fynn und ich uns von seinen Eltern und wir gingen zurück zum Hafen. "Ich muss jetzt los zu Garry, Gib mir dein Handy, dann kann ich meine Nummer einspeichern.", sagte Fynn zu mir. Das mit der Nummer hatte Youlong auch gesagt, aber was bedeutete das? Ich beschloss die Wahrheit zu sagen: "ich hab kein Handy." "Ist es kaputt gegangen? Ah das ist mies. Dann komm ich dich morgen früh am Seestern abholen, wenn du willst. Ich hab da frei und wir könnten ein bisschen herumfahren." Ich nickte. Ich wollte mehr über diesen Menschen wissen. Was hatte Garry wohl gegen ihn in der Hand? Garry winkte mir zu und lief zum Pier. Ich ging geradewegs zum Strand. Das Meer begann wieder zu verschwinden. Bevor es zu flach wurde, waren Garry und Fynn in einem kleinen Motorboot unterwegs hinaus. Ich folgte ihnen in gebührendem Abstand. Meine Kiste hatte ich sicher im Hafenbecken deponiert. Etwas nördlich des Ortes und etwa 5km vor der Küste schalteten sie den Motor aus und warteten. Ich fragte mich, worauf sie warteten, aber ich merkte es schnell, als das Wasser immer weniger wurde und ich als Meerjungfrau auf dem Sand lag. Fynn und Garry interessierten sich zum Glück nicht für seltsame Kreaturen um sie herum und begannen um eine Metallstange herum zu graben. Sie gingen systematisch vor und hatten bald ein größeres Areal umgegraben. Ich fragte mich immernoch, was sie genau vor hatten. Ich konnte leider nichts hören, weil ich zu weit weg war. Die beiden entfernten sich zusehends von ihrem Boot und ich beschloss, mich auf Beinen an das Boot heranzuschleichen. Es gab weit und Breit keine Verstecke, daher riskierte ich viel. "Fynn, hast du schon was entdeckt?" "Wieder ein paar Holzreste, wir sind hier bestimmt richtig." "Ach verdammt, wer weiß wie tief das verdammte Wrack in den Sand eingesunken ist." "Garry, wir haben keine halbe Stunde mehr, die Flut kommt schon zurück.", er deutete auf das Wasser, was tatsächlich schon wieder sehr nah war. "Ach verdammt, dann lass uns einpacken. Das bringt heute nichts mehr. Es ist auch schon dunkel geworden." Da sprach er ein wahres Wort. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden und das letzte Licht schwand schnell. Garry lief zum Boot, hinter dem ich hockte. Sofort legte ich mich flach dahinter. Es kostete mich alle Kraft, nicht zu einem Tisch zu werden. Er kramte elektrische Lampen hervor und leuchtete Fynn den Weg. Ich konnte hier nicht mehr ungesehen wegkommen und beschloss die Dunkelheit und das herannahende Wasser zu nutzen. Bald schwamm das Boot wieder und ich schwamm direkt darunter. Meine Schwanzflosse war verdammt nah am Heckantrieb und ich fürchtete Verletzungen. Trotzdem hielt ich mich unter dem Kiel. Bald war das Wasser tief genug, um ungesehen zu entkommen und genau das tat ich auch. Ich kam vor Garry und Fynn im Hafen an. Schnell holte ich meine Kiste und ging wieder am geschützte Strand an Land. Es war kalt nachts, auch im Meer, das war ich nicht gewohnt. Im Schutz der Felsen legte ich mich in den Sand. Mit meinen Kräften trocknete ich den Sand komplett aus, wodurch er nicht ganz so kalt war. Hoffentlich wurde ich nicht krank.

Der nächste Morgen war düster und feucht. Ich hatte kaum geschlafen, weil es so kalt gewesen war und die Sonne versteckte sich weiter ... Mein Kleid war voller Sand und ich beschloss ein anderes anzuziehen. Leider hielten diese Sachen nicht warm, aber Mom und ich hatten auch nicht geahnt, dass es hier so kalt würde. Fynn hatte gesagt, er wollte mich früh am Seestern abholen und so beeilte ich mich, vor ihm da zu sein. Als ich ankam, wartete er aber bereits. Ich biss mir auf die Lippe und dachte krampfhaft über eine Ausrede nach. Fynn machte es mir leicht: "Nanu? Warst du schon spazieren?" Ich lächelte: "Ja, ich war zu früh dran." "Eine Frühaufsteherin. Hey, ich will mit dir an einen schönen Strand fahren, aber wir sind hier nicht in Malibu und der Herbst frischt auf. Nimm dir lieber noch ne Jacke mit." "Ich hab keine", platzte ich heraus und hatte mich Ohrfeigen können. Jeder Mensch besitzt wohl eine Jacke. "Hast du sie verloren?" Fynn war ein Genie. "Ja, in London!" Nun war er verwirrt. Richtig, ich hatte ihm nicht erzählt, dass ich vorher in London gewesen bin. "Du kommst aus London?" "Wie gesagt, ich bin auf der Durchreise. London war mein vorheriger Stop." "Wie kommt man nur von London in dieses Kaff?" Ich zuckte mit den Schultern und Fynn gab endlich Ruhe: "Ich hab noch ne Jacke im Auto, lass uns losfahren." Ich nickte und wir liefen die Straße runter, um ein paar Ecken und erreichten ein schmales gelbes Gebäude. "Ich wohne oben, meine Vermieterin ist auch die Hafenverwalterin." Vor den Häusern standen verschiedenfarbige Blechdosen und eine davon schloss Fynn auf. "Analog ist sicherer, nicht dass man sich hier ernsthaft über Diebe Gedanken machen müsste." Ich verstand so semi, was er sagte, aber nickte lächelnd. Als wir in dem kleinen rostigen Boot mit Rädern saßen und eine Straße quer durch die Pampa fuhren, begann ich diese Art zu reisen zu genießen. Es war viel schneller als zu schwimmen und viel näher am Boden als das Fliegen. Es war auch mehr Platz als in der UBahn gewesen. Endlich konnte ich mich voll auf Fynn konzentrieren: "Warum arbeitest du auf dem Schiff?" "Ich muss Geld verdienen, um mir mein Studium zu finanzieren. Wenn ich aus dem Kaff weg will, brauch ich ein bisschen Kohle. "Ist das Meer faszinierend?" "Na und ob! Das müsstest du als Meeresbiologin doch wissen!" "Was fangt ihr so?" "Ooch, alles was erlaubt ist. Da muss man nämlich viel beachten, das wissen viele gar nicht..." "Habt ihr mal was ungewöhnliches gefangen?" "Du stellst aber seltsame fragen! Wir haben mal eine große Menge Müll aus dem Meer gefischt. Die Umweltverschmutzung ist immernoch ein großes Thema. Aber wenn du Tiere meinst - wir haben auch mal eine Schildkröte im Netz gehabt, wo ich mich Frage - was macht die hier? Eigentlich ist das Wasser hier viel zu kalt für Schildkröte." Für mich auch, dachte ich. Wie könnte ich das Thema nur auf sein Geheimnis mit Garry lenken? "Ich hab gehört, es gibt Schiffe, die im meer versinken und unschätzbare schätze beherbergen." "Haha, du hast zu viele Filme gesehen! Klar gibt es diese Schiffe, aber die sind nicht in der Nordsee gesunken, sondern in der Karibik. Hier findet man nur Kriegsschiffe oder Flugzeuge aus dem letzten Weltkrieg. Alles was sie beherbergen ist der Tod." Diese Antwort überraschte mich. Er sprach verdammt ernst darüber. Die Kriege der Menschen haben wir Meerjungfrauen zwar miterlebt, aber unter Wasser waren wir relativ sicher. Eine Tante von mir lebte in dem Ozean der Kriege und hat viele Menschen sterben sehen. Die Waffen der Menschen sind sehr stark und deshalb halten wir Meerjungfrauen uns auch eher von den Menschen fern. Sie sind so gefährlich, dass sie keine Feinde, sondern ihr eigenes Volk töten. Naja, auch unter Meermenschen gab es kriege, aber Unschuldige werden dabei verschont und nur die Krieger treten gegeneinander an. Die Menschen zerstören Städte ohne Rücksicht auf Kinder.

Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Dann erzählte Fynn: "Dass Meer gibt Leben und das Meer nimmt Leben. In den alten Geschichten der Seeleute hat ein Seeungeheuer ganze Städte verschlungen. Heute weiß man, dass zumindest eine Stadt auf weichem Sand gebaut worden war, der dann nachgab und bei Flut versank die Stadt im Meer." Ich dachte an meine Heimat, meinen Schwarm. Auch dieser hatte sich vor vielen Generationen in einer versunkenen Stadt der Menschen angesiedelt. "Dieser Untergang hat vielen Menschen das Leben gekostet. Man sagt, sie seien zu gierig gewesen und hatten Berge an Gold und anderen wertvollen Sachen angehäuft. Die Stadt sei zu schwer gewesen und deshalb im Watt versunken." Ich nickte verständnisvoll. Sie suchten also nach einer versunkenen Stadt? "Tauchen die Städte irgendwann wieder auf?" "Hmm, unwahrscheinlich. Vielleicht in ein paar tausend Jahren. Man kann sie aber mit verschiedenen Geräten orten. Zum Beispiel mit einem Georadar. Leider sind diese Dinger verdammt teuer. Für normale Leute bleiben nur ein Metalldetektor und die Schaufel. Wenn man es aber auf Gold abgesehen hat, dann bringt der Detektor auch nichts, da er nur die besonders gut leitfähigen Metalle anzeigt..." Ich verstand kein Wort, nickte aber wieder, um nicht dumm zu wirken.

"Wir sind da", sagte Fynn plötzlich und bog auf einen sandigen Parkplatz ein. Eine schmale Holztreppe führte 30Meter runter in eine kleine Bucht. Das Wasser zog sich langsam zurück und legte immer mehr Strand frei. Wir stiegen hinunter und ich begann zu zittern. Die Sonne wärmste zwar, aber der Wind war hier schneidend. Fynn bemerkte es und rannte die Treppe wieder rauf. Ich wollte nicht warten und ging runter. Das Meer hatte Höhlen in den massiven Fels gegraben. Überall klebten seepocken und einige Becken im Fels waren mit Wasser gefüllt und darin diversen Algen und auch seeigeln gebeheimatet. Ich grüßte die Seeigel, indem ich eine kleine Schallwelle ins Wasser sendete. Dann kam Fynn zu mir und reichte mir eine Jacke. "Ich wusste doch, du würdest sie brauchen", sagte er. Ich grinste verlegen, dankte und zog sie an. Die Jacke war groß, aber es war schön, darin zu versinken. Fynn deutete auf die Becken neben mir "wie ich sehe, hast du die Wunder der Natur bereits kennengelernt. "Die Wunder der Natur?", fragte ich verwirrt. "Ja, schau nur, wie viel leben hier noch ist, obwohl ihr Lebensraum für 6h viele Kilometer wandert." 6h dauerte das also? Das war gut zu wissen. "Schau mal, eine kleine Krabbe!", rief Fynn und deutete auf eines und deutete auf eines der Becken. Dort marschierte ein kleines Männchen entlang, wohl auf Erkundungstour. Krabben waren für uns Meermenschen sowas wie kleine Wächter. Meistens wurden sie eingesetzt, um babys oder nahrung vor anderen Tieren zu schützen. Im Gegenzug erhielten sie gewissermaßen lebensraum und Nahrung. Wir könnten nicht mit Krabben sprechen, aber wir verstanden uns trotzdem, so wie alle Meeresbewohner durch die Körpersprache. Diese kleine Krabbe dort erkundete gerade die Gegend. In meiner Heimat hatte ich gerne Krabben beobachtet und war ihnen auf ihrem weg gefolgt, denn manchmal entdeckten sie wirklich tolle leere Schneckenhäuser und Muschelschalen.

Ich schmunzelte und sah Fynn dabei zu, wie er mit wachen Augen die Krabbe verfolgte. Wir schlenderten ein wenig am Strand entlang bis hin zu einem alten Leuchtturm. Irgendwie hatte Fynn ein Fabel für Leuchttürme. Er war alt und verrostet, die Tür war herausgerissen oder abmontiert worden. Wir stiegen die steile Treppe hinauf und erreichten den winzigen Raum mit den großen spiegeln, der einst die Seeleute sicher zur Küste geleitet hatte. Auch die kleine Meerjungfrau kannte die Geschichten über die großen Lichtpunkte an der Wasseroberfläche, die die Schiffe geleiteten. Fynn erklärte ihr, wie man früher mit Waltran ein Feuer entzündet hatte, heutzutage aber alles elektronisch lief.

Als wir den Leuchtturm wieder verließen, hatte der Wind noch zugenommen. Die kleine Meerjungfrau war das Wetter echt nicht gewohnt. Das Meer war weit hinterm Horizont, jedoch zogen die Wolken dicht zusammen. Sie musste jetzt wirklich aufpassen. Fynn war nicht dumm, er würde sich verdammt wundern, wenn es wie aus Kübeln goss und sie keinen Tropfen abbekäme. "Lass uns schnell zurück gehen, ich glaube es gibt Regen", sagte sie. Fynn grinste sie an: " wir sind doch nicht aus Zucker!" Das war nicht gut, er durfte ihr Geheimnis nicht so einfach erfahren. Statt zu antworten, nahm sie ihn am Handgelenk und lief durch den Sand in Richtung des Autos. In ihrer Heimat mochte der Regen 10min dauern, aber sie hatte bereits Londoner Wetter erlebt und das war sehr viel nasser, als es ihr lieb war. Fynn ließ sich mitziehen und so erreichten sie tatsächlich gerade noch trocken den Wagen. Als sie auf dem Beifahrersitz saß, war sie sehr erleichtert. Fynn ließ sich auf den Fahrersitz fallen, als die ersten dicken Tropfen auf die Frontscheibe klatschten. "Hast du Angst vor Regen?", fragte Fynn vorsichtig. Die kleine Mehrjungfrau überlegte, ob sie einfach mit ja antworte, dann musste sie sich nicht erklären. "Ich mag ihn nicht besonders..." "Naja in deiner Heimat regnet es wahrscheinlich so gut wie nie, kann ich verstehen" "Magst du denn Regen?" "Regen hat eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich habe das Gefühl, er wäscht alle Sorgen und Ängste davon und reinigt die Seele." Das war erstaunlich tiefgründig. "Hast du denn vor etwas Angst?" Die Frage brachte Fynn ins Grübeln. Er dachte lange nach, bevor er antwortet: "Ich hab da ein Geheimnis, das kann ich niemanden erzählen, nicht einmal meinen Eltern. Aber es macht mir große Angst." Die Kleine Meerjungfrau dachte an ihr eigenes Geheimnis. Sie hatte große Angst, erwischt zu werden. Er vermutlich auch, da er illegal nach Schätzen grub.